Mitte Oktober besuchte auf Einladung der DKP das Mitglied des Sekretariats des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Donezker Volksrepublik Stanislaw Retinskij Berlin und Hannover. In beiden Städten fanden öffentliche Diskussionsveranstaltungen unter dem Titel „Brennender Donbass“ statt.

KP-Donbass-in-Berlin

In Berlin nahmen über 60 Interessierte teil; bei weitem nicht nur Mitglieder der DKP, sondern auch aus anderen befreundeten Parteien und Organisationen, Migranten aus der RF und der Ukraine.

Neben der aktuellen Lage in der Donezker Volksrepublik – sowohl militärisch als auch sozialökonomisch – wurde über die Arbeit der KP und über die Perspektiven, die Genossinnen und Genossen im Donbass für die Volksrepubliken sehen, informiert.

Im Anschluss an die Veranstaltung in Berlin fand ein Treffen mit Mitgliedern des Parteivorstands der DKP und der internationalen Kommission sowie des Berliner Landesvorstands statt, bei dem Stanislaw Retinskij den Genossinnen und Genossen der DKP für ihre Solidarität dankte. Der internationale Sekretär der DKP Günter Pohl lud einen Vertreter der KP der DVR zum Pressefest im September 2018 ein.

Referat des Sekretärs des ZK der Kommunistischen Partei der Donezker Volksrepublik Stanislaw Retinskij bei Veranstaltungen der DKP in Hamburg und Hannover

Der Donbass und die klassenmäßige Herangehensweise

Der Hauptunterschied der Ereignisse im Donbass 2014 zu beispielsweise der derzeitigen Situation in Katalonien besteht darin, dass der Kampf für die Unabhängigkeit der Region eine Gegenreaktion auf den Staatsstreich in Kiew ist. Mehr noch, noch im Februar 2014 haben die Einwohner der Region bei Kundgebungen eher nicht von einem selbständigen Staat gesprochen, sondern von einem föderativen Umbau der Ukraine. Hier setzten die Kundgebungsteilnehmer unter anderem auch auf die örtlichen Behörden. Als Anfang März 2014 deutlich wurde, dass diese ihre Forderungen ignorierten, begann ein Sturm auf die Verwaltungsgebäude. Einer davon endete im April des Jahres mit einem Erfolg. Auf einer Konferenz von Vertretern der administrativ-territorialen Einheiten des Donezker Oblast .wurde die Donezker Volksrepublik ausgerufen.

Bei einem Referendum am 11. Mai stimmten die Donbasser massenhaft für die Republik, besonders nach den Ereignissen in Odessa am 2. Mai und in Mariupol am 9. Mai. Hauptsächlich rechneten sie mit einer Wiederholung des Krimszenarios, so dass der Donbass nach einem Referendum ein Teil Russlands würde. Tatsächlich beeilte sich aber die russische Führung ihrerseits nicht mit einer Wiederholung eines solchen Szenarios, eine Bestätigung dafür ist beispielsweise der Vorschlag Wladimir Putins, das Referendum zu verschieben. Außerdem begann die systematische Hilfe aus der RF in die DVR und die LVR erst im August 2014, als der erste humanitäre Konvoi im Donbass eintraf.

Obwohl die eurasische Union unter Führung von Russland auch eine Vereinigung bürgerlicher Länder ist, die das Ziel haben, sich eine mehr oder weniger gute Position in dem weltweiten arbeitsteiligen System zu erkämpfen, ist für den Donbass eine Integration in die eurasische Wirtschaftsunion in der derzeitigen Etappe vorzuziehen, weil dieser Zusammenschluss bisher keine Hindernisse beim freien Verkehr der Arbeitskräfte aufbaut. Arbeiter des Donbass und der Ukraine können frei auf das Territorium Russlands reisen und dort arbeiten. Was von der EU nicht gesagt werden kann, die ihre ökonomischen Probleme nicht nur auf Kosten der Vernichtung der ukrainischen Industrie löst, sondern auch  ukrainischen Gastarbeitern nicht die Möglichkeit gibt, sich frei auf der Arbeitssuche in den Ländern der EU zu bewegen. Selbst die sogenannte „Visafreiheit“ ist in erster Linie auf touristische Reisen ausgelegt.

An den Ereignissen im Donbass haben breite Schichten der Bevölkerung teilgenommen, aber der Hauptunterschied zum „Euromaidan“ in Kiew besteht daran, dass sie nicht von der Oligarchie organisierten wurden, die sich bei dem Staatsstreich auf faschistische Gruppierungen gestützt hat. Im Donbass war die Triebkraft das Kleinbürgertum, das sich auf das Proletariat gestützt hat. Arbeiter haben sich auch an den Protesten beteiligt, aber nicht als Klasse, sondern als Gegner des Staatsstreiches in Kiew. Natürlich waren im Donbass antioligarchische Losungen zu hören. Aber dieser Protest war dem Wesen nach kein Protest gegen die Ausbeutung an sich, sondern dagegen, dass die ukrainischen Oligarchen den „Euromaidan“ unterstützt haben. Deshalb haben die Kommunisten des Donbass von den ersten Tagen in der Massenbewegung gearbeitet und deren Klasseninteressen erläutert.

Die Oligarchie in der Ukraine ist ein typisches Beispiel für eine Kompradorenbourgeoisie, die in ihrem Land die Interessen ausländischen Kapitals bedient. Auf Anweisung des Westens haben ukrainische Oligarchen Wiktor Janukowitsch abgesetzt, der sich nicht entschließen konnte, das Assoziationsabkommen mit der EU zu unterzeichnen. Es ist nicht richtig, wenn gesagt wird, wenn der Donbass im ukrainischen Staatsverband geblieben wäre, hätte er die Unternehmen erhalten können, die im Verlauf der Kämpfe zerstört wurden. In Wirklichkeit haben diejenigen, die 2014 in Kiew an die Macht kamen, begonnen, zielstrebig den ukrainischen Markt für eine Übernahme durch ausländisches Kapital bereit zu machen. Ein Beleg dafür sind die heutigen Kohlelieferungen aus den USA in die Ukraine. Nur die Trennung von der Ukraine erlaubt es der DVR und der LVR, ihr industrielles Potential wenigstens teilweise zu erhalten. Allein im Verlauf dieses Jahres wurde die Charzysker Drahtseilfabrik und die Jusowskij-Metallfabrik wieder in Betrieb genommen, es wurden Stromleitungen im Nowoasowskij-Bezirk gebaut, es werden neue Stollen in den Bergwerken in Tores eröffnet. Die ukrainischen Streitkräfte haben mit Hilfe der Artillerie nur das beschleunigt, was durch den Übergang zu Eurostandards beabsichtigt war, die einen großen Teil der Unternehmen des Donbass beerdigt hätten. Und wenn es keine Industrie gibt, so gibt es kein Proletariat, kein Subjekt der Geschichte!

Natürlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass im Falle einer Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU durch Wiktor Janukowitsch die Arbeiter des Donbass gegen die EU-Standards aufgestanden wären, die heute die Industrie der Ukraine vernichten. Die Arbeiter haben im Verlauf der 1990er Jahre kaum  gegen die Schließung von Unternehmen protestiert. Es ist offensichtlich, dass es auch 2013 so gewesen wäre, wenn die Vereinbarung trotz allem unterzeichnet worden wäre. Aber Wiktor Janukowitsch hat im letzten Moment einen Rückzieher gemacht, weil er von den „europäischen Partnern“ eine Kompensation für die Verluste der ukrainischen Industrie durch die Vereinbarung mit der EU erhalten wollte. Die, die den gestürzten Präsidenten ersetzten, waren bereit, die Ökonomie des Landes ohne jegliche Bedingungen für einen Schleuderpreis wegzugeben, um im Gegenzug dafür als Befehlsempfänger in der Ukraine bleiben zu können. Aber der Staatsstreich in Kiew wirkte als Zünder für den Donbass, der sich durch die Abtrennung von der Willkür in der Ukraine abgrenzen wollte.

Aber die massenhafte Teilnahme von Arbeitern in diesen oder jenen historischen Ereignissen macht diese noch nicht in ihrem Wesen proletarisch. Beim Fehlen eines Klassenbewusstseins werden die Arbeiter unausweichlich die Rolle eines „linken Flügels des Bourgeoisie“ spielen. Wir erinnern uns, dass das Proletariat sich im postsowjetischen Raum vor etwa dreißig Jahren als politisch erwies, aber Ende der 1980er Jahre war sein Kampf gegen die Sowjetmacht gerichtet. So haben die Bergleute des Donbass Massenkundgebungen für eine Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse durchgeführt. Und bis heute ist das Bewusstsein des Proletariats reaktionär. Verstehen die heutigen Arbeiter, dass sie einfach eine Ware sind, die auf dem Markt wie Kleidung, Autos oder Lebensmittel verkauft wird? Natürlich nicht. Heute hat die Mehrheit des Proletariats ein rein bürgerliches Bewusstsein, das nicht im Kampf gegen das System, sondern in dem Bestreben zum Ausdruck kommt, in ihm den Platz des Bürgertums einzunehmen.

Ohne Übertreibung kann man sagen, dass von der ideologischen Reife des Proletariats das Schicksal jeder sozialistischen Revolution abhängt. Kennzeichen der Reife ist das Vorhandensein von Klassenbewusstsein bei den Arbeitern, denn das Proletariat handelt, wenn es seine Lage erkennt. Aber es kann sich nicht eigenständig ein Klassenbewusstsein erarbeiten. Lenin sagte, dass die Arbeiterklasse durch eigene Kraft nur in der Lage ist, ein tradeunionistisches Bewusstsein zu erarbeiten. Was das unmittelbare Klassenbewusstsein betrifft, so kann es nur von außen hereingetragen werden und sein Träger ist eine politische Partei. Eine solche Organisation gab es 2014 im Donbass noch nicht. Mit Beginn der Kundgebungen hat die Führung der Donezker Oblastorganisation der KP der Ukraine nicht nur das Wesen des historischen Moments nicht begriffen, die Notwendigkeit mit den Massen zu arbeiten, dem Proletariat sein Klasseninteresse zu erläutern, sondern hat auch offen die Arbeit der einfachen Kommunisten sabotiert. Als in Kiew der Staatsstreich stattfand, waren gerade Kommunisten die ersten, die das Lenin-Denkmal in Donzek schützten, die aktiv an den Kundgebungen teilnahmen. Das Oblastkomitee der KPU seinerseits forderte, solche Aktivitäten einzustellen und sich auf die Wahlen in der Ukraine vorzubereiten. Im Ergebnis entschieden sich Kommunisten der mittleren Ebene, Leiter von Stadt- und Bezirkskomitees, die Verantwortung für das Schicksal der Partei und der Region zu übernehmen.

Der erste Sekretär des Bezirkskomitees der KPU im Kirowskij-Bezirk von Donezk, der heutige Erste Sekretär des ZK der KPDVR Boris Litwinow ist Autor der Unabhängigkeitserklärung der DVR. Der Erste Sekretär des Slawjansker Stadtkomitees der KPU und jetziger Zweiter Sekretär des ZK der KPDVR Anatolij Chmeleowj war an den Kämpfen um Slawjansk beteiligt. Unter aktiver Beteiligung von Kommunisten, dank der Existenz von Parteiorganisationen im gesamten Donbass, wurden Wahlkommissionen gebildet und das Referendum am 11. Mai 2014 durchgeführt. Mehr als 20 von 98 Deputierten im Obersten Sowjet der DVR waren Kommunisten.

Die Ereignisse im Donbass lehren uns, dass in einer Epoche sozialer Krisen sehr große Massen von Menschen nicht nur zu aktiven Handlungen bereit sind, sondern auch dazu, die Waffe in die Hand zu nehmen. Eine andere Sache ist es, dass das Proletariat ohne eine revolutionäre Partei seine Klasseninteressen nicht erkennen, seine Forderungen nicht richtig formulieren und eine Taktik und Strategie des Klassenkampfes erarbeiten kann. All dies ist die Aufgabe der Kommunisten. Denn der Marxismus ist der bewusste Ausdruck eines unbewussten Prozesses. Die Aufgabe der kommunistischen Partei besteht darin, für die Interessen der Arbeiterklasse zu kämpfen, selbst wenn sie jener selbst noch nicht bewusst sind. In diese Richtung haben die Kommunisten seit Beginn der Massenproteste gearbeitet.
In der Unabhängigkeitserklärung der DVR steht: „Die Republik gewährleistet die Bedingungen für die freie Entwicklung und den Schutz der verfassungsmäßig anerkannten Eigentumsformen, die die Aneignung der Ergebnisse fremder Arbeit ausschließen, Vorrang haben dabei kollektive Formen“. Mit anderen Worten, es wurde die gesellschaftliche Eigentumsform an den Produktionsmitteln erklärt. Aber in der Verfassung der DVR gab es dann ein Abgehen von diesem Prinzip. In ihr ist bereits vom Schutz des Privateigentums die Rede. Ähnliches gab es bereits in der Geschichte. So hat Mirabeau zur Zeit der Großen Französischen Revolution zu Beginn eine Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte ausgearbeitet, in der die allgemeine Gleichheit ausgerufen wurde, aber später ist Sieyès bereits für die Einführung eines Vermögenszensus bei den Wahlen eingetreten.

Die Kommunisten der DVR treten ihrerseits für eine Verwirklichung der Punkte der Unabhängigkeitserklärung ein. Dort ist im Grunde die Rede von der Vernichtung des Privateigentums und dies zu verwirklichen, dazu hat nur die Arbeitsklasse unter Führung der kommunistischen Partei die Kraft. In diesem Sinne hat die KPDVR gewisse Ähnlichkeiten mit der KP Portugals. Wie bekannt ist, treten die portugiesischen Kommunisten für eine Realisierung der Regelungen der Verfassung ein, in der der Aufbau des Sozialismus ausgerufen wurde. Sie wurde nach dem Sieg der Revolution vom 25. April 1974, die man auch Nelkenrevolution nennt, erarbeitet.

Die Kommunisten haben viel zur Schaffung der Republik beigetragen. Derzeit ist ein erheblicher Teil unserer Arbeit auf deren internationale Anerkennung gerichtet. Dies zu erreichen ist möglich, unter anderem dank der Herstellung von internationalen Parteiverbindungen. Die KPDVR hat erhebliche Erfolge auf diesem Gebiet erreicht. Wir sind den deutschen Genossen sehr dankbar, die uns verschiedene Unterstützung leisten, die unsere Parteimaterialien in deutscher Sprache verbreiten, ihre Solidarität mit uns zum Ausdruck bringen. Die DKP ist eine der ersten kommunistischen Parteien, mit der wir zweiseitige Kontakte hergestellt haben. Wir sind stolz darauf, dass wir solche Kampfgenossen in Deutschland haben!

Danke, Genossen, dafür, dass ihre sowohl die Donezker Kommunisten als auch die Donezker Volksrepublik unterstützt. Derzeit leben wir nicht in der Epoche des „Kalten Kriegs“, als die Wahl zwischen Sozialismus und Kapitalismus getroffen wurde. Jetzt leben wir in einer Epoche, in der man zwischen dem US-Imperialismus und all denen wählen muss, die ihm Widerstand leisten. Im Donbass findet ein sehr starker Widerstand gegen die militärische Aggression des proamerikanischen Regimes, das in Kiew in der Folge eines Staatsstreichs installiert wurde, statt. Natürlich kämpfen auf der Seite der DVR und der LVR  nicht nur Anhänger linker, sondern auch solche rechter Sichtweisen. So war es bereits früher im postsowjetischen Raum. In seinem letzten Interview hat der Donezker Kommunist Wsewolod Petrowskij, mein Freund und Genosse, der während der Kämpfe um Debalzewo starb, angemerkt, dass auch 1993 gegen die Willkür Jelzins nicht nur linke sondern auch rechte Kräfte aufstanden. Folgt daraus, dass die Kommunisten ihren Widerstand einstellen? Natürlich nicht.

Selbst wenn im Donbass sozialistische Prinzipien ausgerufen, aber noch nicht abschließend bestätigt wurden, halten wir Kommunisten es in der derzeitigen Etappe für unumgänglich, die Republik zu verteidigen. Denn dadurch, dass auf sie der Schlag der Ukraine, der EU und der USA fällt, helfen wir, den Sozialismus in anderen Regionen der Welt, unter anderem in Lateinamerika und Südostasien zu stärken. Che Guevara rief in den 1960er Jahren dazu auf, „viele Vietnams“ zu schaffen, um den Weltimperialismus zu stürzen. Wir Kommunisten der DVR sprechen von der Notwendigkeit „viele Donbasse“ zu schaffen. Jede Aktion der Solidarität mit dem Donbass ist ein neuer Widerstandsherd. Darin besteht das Wesen des Internationalismus.