Wera Richter in der UZ vom 18.10.2019 • Mitregieren hat seinen Preis, bezahlen müssen andere

Während das Ostdeutsche Kuratorium von Verbänden (OKV) und das Bochumer DDR-Kabinett in Berlin in vollen Sälen die Gründung des ersten deutschen Friedensstaates vor 70 Jahren feierten, war das Ereignis dem „Neuen Deutschland“ am 7. Oktober keine Zeile wert. Auch die Führung der Partei „Die Linke“ schwieg zum Geburtstag der Deutschen Demokratischen Republik. Schließlich überraschte der thüringische Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linkspartei) mit einem Ständchen. Gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) erklärte er, die DDR sei kein Unrechtsstaat gewesen.

Zieht Ramelow drei Wochen vor der Landtagswahl in Thüringen eine Konsequenz aus den Wahldesastern seiner Partei vor allem im Osten? Hat er zur Kenntnis genommen, dass die Kriminalisierung der DDR in Ostdeutschland nicht gut ankommt? Das wäre erstaunlich. Schließlich hatte er für seinen Posten 2014 einen Koalitionsvertrag unterzeichnet, in dem schwarz auf weiß stand: „Weil jedes Recht und jede Gerechtigkeit für diejenigen verloren waren, die sich nicht systemkonform verhielten, war die DDR in der Konsequenz ein Unrechtsstaat.“ Seine Partei ließ es ihm durchgehen.

Nein, keine Erkenntnis. „Die DDR war eindeutig kein Rechtsstaat“, versicherte Ramelow. Der Begriff „Unrechtsstaat“ sei aber für ihn ausschließlich mit der Zeit der Naziherrschaft verbunden. Auch Schwesig stört sich an der Begrifflichkeit. Sie werde von vielen Menschen, die in der DDR gelebt hätten, als herabsetzend empfunden und wirke, „als sei ihr ganzes Leben Unrecht gewesen“. Schwesig nennt die DDR daher lieber Diktatur. Ramelow wird sich im Falle der erneuten Chance für „rotes“ Mitregieren sicher nicht lange um Begrifflichkeiten im Koalitionsvertrag streiten. In der Sache ist man sich ja einig.

Dazu passt die Ignoranz seiner Partei gegenüber jenen, die ihr auf die Sprünge helfen wollten. Vertreter des OKV hatten sich nach einem Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden Dietmar Bartsch drangesetzt und Vorschläge für ein Ostprogramm der Partei erarbeitet. Sie stellten fest: „Die Partei ‚Die Linke‘ verliert im Osten Deutschlands an politischer Akzeptanz bei vielen Bürgern.“ Sie werde zunehmend als Partei wahrgenommen, die im bürgerlichen Politikbetrieb angekommen ist und dabei linke Grundpositionen aufgibt. Eine klare Position für eine sozialistische Alternative sei nicht mehr erkennbar. „Im Interesse der Bürgerinnen und Bürger und der Partei“ machten die Vertreter des OKV Vorschläge.

An erste Stelle friedenspolitische: Das OKV schlug der Partei vor, zu verhindern, dass Ostdeutschland als Aufmarschgebiet für NATO-Truppen gen Osten missbraucht wird. Stattdessen solle die Partei zusammen mit anderen gesellschaftlichen Kräften eine „Brücke zu Russland“ aufbauen.

Zweitens sei es wichtig, dass die Partei eine klare Position zur Geschichte der DDR erarbeite. Stattdessen sei sie im Interesse der Regierungsverantwortung dazu übergegangen, ihre Wurzeln zu leugnen und die Geschichte der DDR zu diffamieren. Die DDR-Errungenschaften, besonders in der Friedenspolitik, dem Antifaschismus, in Bildung und Kultur, würden verschwiegen oder kleingeredet. Die kritische Aufarbeitung der BRD-Geschichte werde weitgehend ausgespart. Das OKV schlug vor: „Die Partei ‚Die Linke‘ stellt die Verunglimpfung der DDR ein. Sie erarbeitet und verabschiedet kurzfristig ein Positionspapier ‚Zur geschichtlichen Rolle beider deutscher Staaten’ und bezieht diese Aussagen in ihre Öffentlichkeitsarbeit ein.“

Die Zuarbeit des OKV blieb unbeantwortet. Eine Ostkonferenz der Partei im August fand ohne deren Vertreter statt. Das ist der Preis für das Mitregieren im Unrechtsstaat BRD, das von führenden Kräften der Partei auch im Bund gewollt ist. Das mag in ihrem Interesse sein, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger – vor allem in Ostdeutschland – ist es nicht.