Politisches Tauziehen um Weiterbau der A100
Quelle: Berliner Anstoss 02/2022
Noch ist der 16. Bauabschnitt der Berliner Stadtautobahn A100 eine Riesenbaustelle.
Die Eröffnung des 3,2 Kilometer langen Abschnitts zwischen dem Dreieck Neukölln und der Anschlussstelle Treptower Park ist derzeit für Ende 2024 in Aussicht gestellt. Doch die Autobahnlobby Deutschlands schläft nicht. In Gestalt der Staatssekretärin im Bundesverkehrsministerium und FDP-Bundestagsabgeordneten Daniela Kluckert meldete sie sich am 29. März in einem Interview mit der Berliner Morgenpost zu Wort. Dort verkündete die 1980 geborene Diplom-Volkswirtin selbstbewusst: »Wir treiben den Weiterbau der A100 so schnell wie möglich voran. Es ist eine Investition in die Zukunft der Stadt.« Und damit deutlich wird, was Sache ist, fügte sie hinzu: »Mit der Ausschreibung der Planung für den 17. Bauabschnitt ist nun auch klar, dass weiter gebaut wird.« Konkret: Der Stadtring A100 soll in Zukunft über Friedrichshain bis zur Storkower Straße in Lichtenberg verlängert werden.
Das kam beim Berliner Senat und seinen Regierungsparteien SPD, Grüne und Linkspartei gar nicht gut an.
Vor allem die beiden letzteren hatten sich im Wahlkampf 2021 vehement für ein Ende des Autobahnbaus in Berlin ausgesprochen und sogar den Rückbau des mitten im Bau befindlichen 16. Abschnitts gefordert. Den Grünen in Berlin darf man hierbei durchaus ernsthafte Absichten unterstellen: Sie hatten 2011 sogar die Koalitionsverhandlungen mit der SPD wegen dieser Frage platzen lassen, so dass der 16. Bauabschnitt dann 2013 mit dem SPD/ CDU-Senat gestartet wurde. Einst hatte sich sogar die Berliner SPD gegen den Weiterbau ausgesprochen, wurde dann aber 2007 auf einem Parteitag durch ihre Parteioberen mit Klaus Wowereit an der Spitze auf Autobahnlinie gebracht, worauf dann der Berliner Senat die planungsrechtlichen Vorbereitungen für den 16. Bauabschnitt in die Wege leitete. Was wiederum die Linkspartei nicht etwa zum Anlass nahm, die damalige Koalition mit der SPD zu verlassen, obwohl auch sie sich im Wahlkampf 2006 gegen den Weiterbau der A100 ausgesprochen hatte.
Dass die Berliner SPD, spätestens wenn sie Regierungsverantwortung trägt, eindeutige Autobahnbefürworterin ist, kann als sicher gelten. Bezeichnend, dass Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey, die aus ihrer persönlichen Zustimmung zum 17. Bauabschnitt gar keinen Hehl macht, die forsche Ankündigung aus dem Bundesverkehrsministerium inhaltlich gar nicht zurückwies, sondern nur Formales bemängelte: Die Entwicklung habe man zu diesem Zeitpunkt nicht erwartet: »Ich würde mir wünschen, dass der Bund die Schritte, die er unternimmt, mit uns abstimmt.« Der Sprecher der SPD-Fraktion, Stephan Machulik, jammerte: »In Berlin und in der Koalition sind wir davon kalt erwischt worden, in der Kommunikation war das sehr misslich.« Und wiegelte dann erst einmal ab: »Ob das alles so kommt, darüber werden wir noch reden müssen.« (Morgenpost vom 30.3.22) Ob das alles so kommt? Ja, diese Prognose sei hier aufgestellt, beim normalen Gang der politischen Abläufe ganz bestimmt. Denn das Land Berlin (und damit der Senat) hat beim Autobahnbau (anders als noch beim 16. Bauabschnitt) inzwischen gar nichts mehr zu entscheiden. Dafür hat nämlich die letzte CDU/CSU/SPD-Bundesregierung gesorgt, als 2017 mit dem Gesetz über die Gründung einer Bundesautobahn GmbH auch die alleinige Entscheidungsbefugnis über Betrieb und Bau der deutschen Autobahnen von den Bundesländern auf den Bund übertragen wurde. Seit 2021 ist das Gesetz nun vollumfänglich in Kraft. Kluckert sagte dazu: »Der Autobahnbau in Berlin wird wie bei allen Autobahnen in Deutschland von der Autobahngesellschaft des Bundes betreut und umgesetzt. Das ist eine Bundesangelegenheit.«
Deshalb auch ist es im Berliner Koalitionsvertrag 2021–2026 bezeichnenderweise bei einem einzigen dürren Satz zur A100-Verlängerung geblieben, mit dem die SPD gut leben kann: »Planung und Bau des 17. Bauabschnitts der A100 wird in der neuen Legislaturperiode durch die Landesregierung nicht weiter vorangetrieben.« Da mag der gegen den Autobahnbau in Berlin sehr engagierte Bund für Umwelt- und Naturschutz in Deutschland (BUND) noch so fest daran glauben, »die verkehrspolitische Agenda von RGR (Rot-grün-rot) ist in vielerlei Hinsicht fortschrittlich und ambitioniert«, und in diesem Zusammenhang auch auf »die Absage an die A100-Verlängerung über den Treptower Park hinaus« verweisen – das Bundesverkehrsministerium, das im Interesse des Wirtschaftsstandortes Deutschland seit eh und je alles für die größtmögliche LKW- und PKW-Mobilität tut, wird von solchen »Ambitionen« nichts wissen wollen. Die spärliche Verlautbarung des Berliner Koalitionsvertrages ist somit ein Muster ohne Wert.
Angesichts des Vorstoßes aus dem FDP-Verkehrsministerium zeigt die Linkspartei sich mal wieder entschlossen. Auf ihrer Webseite zu ihrem 8. Landesparteitag (3.Tagung) am 4. April posaunt sie: »Wir werden alle Mittel nutzen, um den 17. Bauabschnitt zu verhindern.« Deshalb wohl vertraut sie ganz auf den Rechtsstaat und fordert in einem Beschluss den Senat auf, zu prüfen, ob man nicht mit einer Normenkontrollklage vor das Bundesverfassungsgericht ziehen könne. Damit soll die Gesetzesänderung von 2017 überprüft werden. Doch welche rechtliche Normen sollen da verletzt worden sein? Auch die zweite Forderung des Landesparteitages reißt einen nicht vom Hocker: Die Rückübertragung der Planfeststellungsbehörde der Bundesfernstraßen an das Land. Sie war nämlich ab 2021 im Zuge des Bundesautobahngesetzes zur Autobahn GmbH gewechselt. Doch auch eine Rückübertragung (wenn überhaupt noch möglich) ergäbe keinen Sinn, denn Planfeststellungsbehörden müssen stets politisch weisungsunabhängig und neutral im Sinne ihres amtlichen Auftrags (hier: den Bau von Autobahnen rechtlich absichern) agieren. Sollten diese grandiosen Vorschläge der Linkspartei nicht fruchten, wird sie ihr Trumpfass ziehen: Dann will sie sich nämlich »mit außerparlamentarischen Bündnispartner*innen vernetzen«. Wenn sie denn noch glaubwürdig wäre …
Bekundet dagegen die grüne Umwelt-Verkehrssenatorin Bettina Jarasch ebenfalls: »Wir werden alles tun, um den Weiterbau zu verhindern … Ich sage, das wird nicht passieren« (Tagesspiegel, 3.4.2022), dann ist das sicher ernster zu nehmen als die Schaumschlägerei der Linkspartei. Jarasch wird versuchen, die grünen Minister in der Bundesregierung zu mobilisieren. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung sei vereinbart worden, die Projekte des (von 2015 stammenden) Bundesverkehrswegeplans im Hinblick auf Klimaschutzziele und aktuelle Bedarfe zu überprüfen. Stefan Gelbhaar, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag sagte: »Eine solche gemeinsame Verständigung erfolgte zur A100 nicht.« Das Projekt sei »ein Infrastrukturdesaster aus dem letzten Jahrhundert«. (Tagesspiegel, 29.3.2022)
Das sieht »die Wirtschaft« und ihr politischer Arm, das Verkehrsministerium, genau andersherum. In einer Stellungnahme der Industrie- und Handelskammer Berlin heißt es: »Das strukturelle Defizit an Industriearbeitsplätzen in den östlichen Berliner Stadtbezirken resultiert wesentlich aus der schlechten Anbindung dieser Gewerbegebiete an das übergeordnete Straßennetz.« Und: »Im Hinblick auf die künftige wirtschaftliche Entwicklung des Flughafens BER ist die A100 eine leistungsfähige, unverzichtbare Netzergänzung.« Die FDP-Verkehrsstaatssekretärin Kuckert sieht die Zusammenhänge genauso: »Wir brauchen die Autobahn (…), damit der Osten mit dem Westen der Stadt verbunden wird. Und damit die Unternehmen ihre Wege durch die Stadt finden und ihre Arbeit erledigen können.« Ganz überzeugend findet sie offenbar auch folgenden Hinweis: »Hier geht es um eine Investition in Millionenhöhe.« Dass es beim 17. Bauabschnitt eher auf eine Milliarde hinauslaufen wird (siehe nebenstehenden Artikel), will sie bei aller Begeisterung den Steuern zahlenden Morgenpost-Lesern dann lieber doch nicht verraten.
Karte: Alexrk2 / creativecommons. org/licenses/by-sa/3.0/deed.de (CC BY-SA 3.0)/ commons.wikimedia. org/wiki/File:A100_Geplanter_ Ausbau.png
Grafik: Geplanter Ausbau der Bundesautobahn 100 (Stand 2016)