Winter ist immer - Energieversorgung und Kapitalismus
Quelle: Berliner Anstoss 01/2022
Wer oder was ist das – ein Vattenfall? Erreicht einen Berliner Haushalt dieser Tage Post von einem Absender dieses Namens, steht jedenfalls zu befürchten, dass nicht der Vattenfall, sondern der Ernstfall eingetreten ist: Der bisherige Stromanbieter hat gekündigt, weil er seinen Superbilliggeizistgeilspezialtarif nicht mehr gewinnbringend anbieten kann. Der Stromkunde guckt ins Fallrohr bzw. landet Knall auf Fall beim örtlichen Grundversorger, dessen Tarif deutlich teurer ausfällt als das zuvor abgeschlossene vermeintliche Sparfuchsschnäppchen. In Berlin entfällt die Grundversorgung auf Vattenfall. Vattenfall ist schwedisch und heißt Wasserfall. Der Name rührt daher, dass die Mitglieder des schwedischen Reichstags zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Einfall hatten, die Energie des TrollhättanWasserfalls zur Stromgewinnung zu nutzen. Den Fall übernahm die eigens eingerichtete »Kungliga Vattenfallstyrelsen«, also die königliche Wasserfall-Kommission. Das gilt als Geburtsstunde des späteren Vattenfall-Konzerns. Der Rest fällt in die Zuständigkeit der Historiker.
Interessant wird der Kasus für ein Berliner Publikum erst mit dem Fall der Mauer und also mit dem Überfall des Kapitals auf bisher kommunal oder staatlich kontrollierte Bereiche der Daseinsfürsorge. Vattenfall jedenfalls befiel die Lust auf Expansion. In einem Anfall von Kaufrausch erwarb der schwedische Konzern in der Bundesrepublik ab 1999 Anteile an Energieversorgungsunternehmen wie den Hamburgischen Electricitäts Werken, der Vereinigten Energiewerke AG und am Bergbauunternehmen Lausitzer Braunkohle AG. 2001 war dann die bis 1997 mehrheitlich in Landesbesitz befindliche Bewag, die Berliner Städtische Elektrizitätswerke Aktien-Gesellschaft, fällig. Die an die Schweden abgefallenen Unternehmen verschmolzen dann 2003 zur Vattenfall Europe AG, womit der Mutterkonzern nach Eon, RWE und EnBW auf den vierten Platz der größten Stromanbieter in der Bundesrepublik nach oben fiel.
Im vergangenen Jahr fällte das Abgeordnetenhaus den Beschluss, die bisher Vattenfall gehörende Stromnetz Berlin GmbH für gut zwei Milliarden Euro zu übernehmen. Damit fällt die Energieversorgung wieder in die Zuständigkeit der Stadt. Soll aber die lange geforderte Rekommunalisierung nicht zum Reinfall geraten, wird es weiter politischer Wachsamkeit bedürfen. Beifall ist daher nur bedingt angebracht, heißt der Stromerzeuger für Berlin doch nach wie vor Vattenfall, zu einhundert Prozent im Besitz des schwedischen Staates. Da darf dann auffallen, dass Staatseigentum nicht Staatseigentum ist, und das schwedische »Volksheim« von Vattenfall einen reißenden Wasserfall höchster Profite erwartet.